Würstchendosen auf Empfang
Ostsee-Zeitung vom 10.3.2006
Sein Netzwerk zieht sich schon über hunderte Rostocker Dächer. Jetzt sucht der Verein "Opennet Initiative" wieder gute Antennenbauer.
Südstadt Von oben betrachtet könnte man meinen, dass die Bewohner der Kröpeliner-Tor-Vorstadt ihren Müll auf dem Hausdach entsorgen: Zwischen Schornsteinen und Satellitenschüsseln ragen leere Würstchendosen in den Himmel, daneben stehen ausrangierte Salatschüsseln und umgebaute CD-Trommeln auf Empfang.
Schuld an diesem Sammelsurium in luftiger Höhe ist aber kein mangelndes Umweltbewusstsein, sondern der Verein "Opennet Initiative". Der macht es sich seit Anfang 2005 zur Aufgabe, "freie und offene Kommunikationinfrastrukturen zu fördern", so die Vereinshomepage. "Vor einem Jahr war die KTV noch gar nicht mit DSL ausgestattet", erklärt Hans-Walter Glock, Mitarbeiter an der Fakultät für Informatik und Elektrotechnik der Universität Rostock. Mit einigen Kollegen beschloss Glock deshalb, "die Sache selbst in die Hand zu nehmen".
Von Dach zu Dach bauten die Wissenschaftler ihr Netzwerk auf. Mittlerweile zählt der Verein schon über 100 Mitglieder, rund 150 Häuser in der KTV sind angeschlossen. Natürlich hätte man auch einfach handelsübliche Antennen auf die Dächer stellen können, sagt Glock. Aber da waren die Nachrichtentechniker schon bei ihrer Forscherehre gepackt: Warum kaufen, was sich auch selber basteln lässt?
Der neugegründete Verein rief einen großen Antennenbauwettbewerb aus und während der Langen Nacht der Wissenschaften im vergangenen Jahr verfolgten 700 Besucher die Konkurrenz zwischen 50 Antennen, zwischen Würstchendosen, Autoscheinwerfern und CD-Spindeln. Mit einer speziellen Mess-Station ermittelten die Forscher die beste Empfangsleistung - aber auch die Antennen auf den hinteren Rängen "waren fast alle gut genug für unser Netzwerk", erzählt Informatiker Thomas Mundt.
Eine gute Antenne sei eigentlich gar nicht so schwer zu bauen, meint Tobias Weber, Professor für Nachrichtentechnik an der Uni Rostock. Bei der Neuauflage des Antennenbau-Wettbewerbes zur diesjährigen Langen Nacht der Wissenschaften am 27. April wird er wieder in der Jury sitzen. Die Teilnahmebedingungen seien ein bisschen verschärft, die grundsätzlichen Anforderungen aber gleich geblieben, erklärt Weber. "Die Antennen sollten eine hohe Reichweite und eine starke Richtwirkung erzielen."
Wem das zuviel Wissenschaftslatein ist, der kann beim Wettbewerb in der Mensa Südstadt auf professionelle Hilfe bauen. Zur Vereinsphilosophie der Netzwerker gehöre es sowieso, "dass einfach jeder seine Kompetenzen einbringt", erklärt Glock. Die einen könnten eben gut programmieren, "die anderen sind besser im Grillen", ergänzt Mundt. Zum Vereinsleben zähle schließlich auch Geselligkeit - einige Mitglieder seien sogar schon zusammen im Urlaub gewesen. Die Kosten für den Netzbetrieb würden umgelegt. "Derzeit liegen wir bei rund fünf Euro pro Monat."
Längst gehören nicht mehr nur Wissenschaftler zum Verein: "Vom Schüler bis zum Rentner sind eigentlich alle vertreten", sagt Mundt. Die Netzwerker haben auch die Grenzen der KTV schon überschritten. Im Komponistenviertel und in der Südstadt stehen die ersten Vereinsantennen - Ende Dezember 2005 wurden Kösterbeck und Beselin in das offene Netz eingebunden.
Die Antennenbau-Künste der Rostocker haben sich noch weiter rumgesprochen. Für den zweiten Wettbewerb hätten sich Tüftler aus Dresden, Wolfsburg und sogar Dänemark angekündigt, verrät Glock. Den Siegern winken Preise und ein Pokal. Abgesehen natürlich von frisch getesteten Würstchendosen und Salatschüsseln fürs Dach.
ANNE SCHEMANN
